In tiefer Demut, meine lieben Vinopathienten muss ich berichten von Hochverrat unter dem eigenen Dach. Ich krieche zu Kreuze und bekenne mich des Weinsnobismus‘ schuldig. Demselben haben sich die Vinopathen, die sich gerne als Wortführer der Weinrevolution geben, förmlich zu Füssen geworfen. Wir haben uns um und an dessen Beine geschmiegt, ja, ich muss gestehen, die freigeistigen und ach so revolutionären Vinopathen sind dem Feind förmlich in den Arsch gekrochen. Wir konnten den teuflischen, sirenenähnlichen Rufen der Verlockung nicht widerstehen und haben uns dem Weinsnobismus hingegeben; schuldig gemäss Anklage. Ein Fläschchen Château Mouton-Rothschild 1990 hat seinen süssen, verführerischen Duft und verfänglichen Singsang auf verschlungenen Pfaden in Richtung Vinopathen geschickt, die beiden Weinrevoluzzer auf dem falschen Fuss erwischt und um den dünnen Flaschenhals gewickelt. Ausweichen war zwecklos, die Gelegenheit „günstig“… wenn auch nicht im eigentlichen Sinn des Wortes. Sagen wir mal so: Das Fläschchen hat sich uns an den Hals geworfen, ist halt so vom Lastwagen gefallen…
Genug der Entschuldigung, wir haben es nun mal getan: Viel zu viel Geld für zwar sauguten, aber viel zu wenig Wein bezahlt. Aber der kleine adelige Franzose hat‘s drauf:
Château Mouton-Rothschild, 1990, 0,375 cl
Pauillac, Bordeaux, Frankreich
Der Wein war vakuumiert, 24 Stunden zuvor geöffnet worden und überraschte mit erstaunlich viel Frucht in der Nase, und das nach 21 Jahren in der kleinsten aller Flaschen. Nichtsdestotrotz kamen zur überraschenden Frische die typischen Leder und Tabaknoten, zu denen sich im Gaumen auch noch eine leicht balsamische Komponente dazugesellte. Aber auch die Frucht wiederholte sich am Gaumen, dazu kamen pfeffrige Würze und eine erstaunlich präsente Säure. Die markanten Tannine deuten darauf hin, dass das Ende der Fahnenstange für diesen noblen Saft noch nicht erreicht ist.
Oops, da ertappe ich mich auch noch, wie sehr meine Degustationsnotiz auf anbiedernste Weise auf dem hohen Ross des Weinsnobismus dem adeligen Gehöft entgegenreitet. Deshalb lasst es mich vinopathisch ausdrucken, Freunde, dieser Wein ist der klassische Klassiker mit dem unverwechselbaren Hauch von Terroir-Jazz oder noch gewählter: Geile Plörre mit Komplexität, Tiefgang und Wow-Faktor!
Fazit: Vergorener Traubensaft, sei er noch so komplex, vielschichtig, frisch und verführerisch noch im hohen Alter, kostet sehr viel, kann es allerdings ab einem gewissen Betrag niemals mehr wert sein. Jetzt, da wir das verifizieren konnten, dürfen wir es ja sagen … Der kleine Ausflug ins Establishment hat für die Vinopathen sozusagen Forschungscharakter: Schulung des Gaumens, Ausweiten der Geschmackserfahrungen etc… Schnäppchen fernab der grossen und allseits bekannten Namen lassen sich nun noch besser in die Preis-Leistungsskala einordnen. Alles nur für Euch, liebe Vinopathienten! Wir bereuen nichts. Preis: richtig viel Asche. 19.0+/20 Pkt
Frohes Weinsein!
Nanana, nicht gleich die Hosen runter und sich selber verhauen! Die «Geschmackserfahrung» ist sehr wohl eines Vinopathen würdig. Schnäppchen sind unser Ding, da gibt es manchmal auch Schnäppchen, die etwas Überwindung kosten, aber dennoch ein Hinlanger darstellen können. War ein grandioses Weinerlebnis! Danke allen, die es ermöglicht haben. Kaufabsichten? Nein danke! Gerade dürfen wir wieder teilhaben an der absurden Bordeaux-Preisschraube, die sich schneller nach oben dreht als verkostet werden kann. Diese Preise drehen einem doch ein Loch in die Kasse, wie die Spirale des Kellnermessers in den Mouton-Zapfen. Trotzdem gibt es doch Anlass zur Freude. In solchen Jahren gibt es wenigstens auch Bordeaux mit Genuss ohne Haltbarkeitsdatum, für weniger Geld versteht sich.
Frohes Weinsein!