Viele Weintrinker schenken dem Glas weniger Aufmerksamkeit oder betiteln die Glasvielfalt als «Schäumerei der Weinsnobs». Ein besagtes oder herbeigewünschtes «Einheitsglas» für jede Gelegenheit beruht wohl immer auf Kompromissen. Sicherlich aber gehört ein spritziger Weisswein sowenig in einen bauchigen Burgunderkelch, wie ein Offroader in die Zürcher Innenstadt. Mit geringem Basiswissen kann der mündige Vinopath durchaus selbstbewusst entscheiden welche Kompromisse er bei der Glaswahl trifft, und wo er den mundgeblasenen Spezialisten aus dem Schrank zaubern will.
Sicherlich wird heute das Angebot ins Unübersichtliche getrieben. Mittlerweile hat jede Rebsorte seine eigene Glasform. Dies gründet wohl eher auf marketingtechnischen Ambitionen seitens der fleissigen Glashersteller, als auf klaren wissenschaftlichen Fakten. In einem einzelnen Wein sind zirka 200 Aromen oder mehr in unterschiedlicher Konzentration vorhanden. Was im Weinberg oder im Keller versemmelt wurde, kann auch durch das perfekte Glas nicht wettgemacht werden. Ein Wunderkelch gibt es also nicht. Ich bin davon überzeugt, dass eine bedachte Glaswahl den Genuss steigert oder diesen nach persönlichen Vorlieben optimiert. Mit verschiedenen Faktoren kann Einfluss auf die Aromaketten genommen werden. Dies kann den Duft, den Geschmack, die Balance und das Mundgefühl eines Weines massgeblich beeinträchtigen. Dies hat mich seinerzeit bewogen mir bei der Anschaffung meines Gläserparks einige Gedanken zu machen.
Die Glasparade
Beginnen wir bei den kleineren Glasformaten. Weissweine mit fruchtigen und intensiven Aromen machen in kleineren Gläsern mit der klassischen Eierform (1) am meisten Spass und gehören ins Standardsortiment eines jeden Vinopathen. Hier wird ein eher säurearmer Wein, zum Beispiel Chardonnay, geschickt ins Spiel gebracht, indem der erste Kontakt im mittleren Bereich der Zunge stattfindet. Hier empfinden wir Säure, Salz, Bittergeschmack noch vor der Süsse. Eine verengte Öffnung sorgt für eine Konzentration der etwas feineren Weissweinaromen.
Für junge, spritzige Weine, beispielsweise säurebetonter Riesling, verbessert der lernfreudige Glasfanatiker den Spassfaktor mit einem zusätzlichen Glas. Dieses weist einen leicht nach aussen gewölbten Glasrand auf, ähnlich einer Tulpe (2). Dieses Glas wird auch «Jungweinglas» genannt. Durch die Randform wird die Zungenspitze beim ansetzten des Glases angehoben. Der Wein soll dabei zuerst auf dem vorderen Teil der Zunge auftreffen, wo die Säure nicht so deutlich wahrgenommen wird wie im hinteren Bereich der Zunge. Somit wird eine anfänglich hohe Säure etwas kaschiert.
Für körper- und gerbstoffreiche Rotweinerzeugnisse steht das grosse Glas (3) in der Vitrine. Nicht nur, weil das grosse Format den aromareichen Inhaltsstoffen viel «Bewegungsfreiheit» schenkt, sondern auch, weil damit die Weinoberfläche im Glas vergrössert wird. Dies begünstigt die Belüftung eines körperreichen Weines. Man stelle sich vor: Der edle Tropfen verbrachte schon einige Jahre im dunklen Keller hinter einem Zapfen verschlossen. Da kann manchmal ein Atemzug frischer Luft Wunder wirken. Ähnlich wie im Schlafzimmer eines Teenagers am Sonntagmorgen. Zusätzlich ergibt sich der optimale Raum für die flüchtige Duftstoffe. Die Genussnase taucht somit beim Trinken tief in das Duftparadies ein. Dieses Glas steht bei mir zuvorderst bei tanninreichen Weinen wie Bordeaux, Rioja oder Chianti. Es sei hier vermerkt, dass dieser Effekt natürlich verloren geht, wenn man als übermütiger Geniesser das Glas randvoll füllt. Faustregel für alle Glastypen ist ein Füllstand von zirka einem Drittel des Glasvolumens.
Für einen reifen, säurelastigeren Wein, der bereits etwas an Dichte und Fülle im Alterungspozess abgebaut hat, wird wieder die Tulpenform mit dem nach aussen gewölbte Glasrand bevorzugt. So zum Beispiel beim typischen Burgunder- oder Barologlas (4). Durch die dickbauchige Form und die grosse Öffnung bekommt der Wein viel Luft, so kann er sich schneller öffnen und seine Fülle präsentieren. Diese Glasform empfiehl sich für reife Rotweine.
Und dann wäre da noch die schlanke Form für feinperlige Sekte und andere Schaumweine (5). Wie an einem Filmset wird auch hier nichts dem Zufall überlassen. Tief unten im Glasboden wird oft ein kleiner Moussierpunkt eingeschliffen an dem sich die Kohlensäure bricht und als feine Perlenschnur im Glas aufsteigt. Die schlanke Form verkleinert die Oberfläche und den Luftraum im Glas. Dies soll die Perlen und die Aromen länger tanzen lassen, bietet somit mehr und längeren Genuss.
Natürlich wird die hier gezeigt Auswahl der Vielfalt, die auf dem Markt vorherrscht nicht gerecht. Ebenso bin ich mir bewusst, dass es Glaspäpste gibt, die hier in einigen Punkten Widerworte finden und andere Glasphilosophien verfolgen. Probiert es aus und findet euer ganz eigenes Glas. Letzen Endes liegt die Wahrheit doch im Wein und nicht im Glas. Dies beweisen Urlaubserlebnisse, als ich persönlich schon Wein aus allen möglichen Glasformen getrunken habe. Und haben sie geschmeckt? Und wie…!
Fazit: Ich für meinen Teil komme mit einem schlankeren Weissweinglas in Tulpenform (1) aus. Beim Rotwein unterscheide ich zwei Glastypen. Einen für duftige und säurebetonte Weine, wie Burgunder oder Barolo (4), und einen etwas schlankeren grossen, bauchigen Glastypen (3) für die restlichen Rotweine. Da das Auge bekanntlich auch mittrinkt, gehöre ich zu der Sorte Weintrinker, die sich gerne auch von einem «nur» gutaussehenden Weinglas zum Spontankauf hinreissen lassen könnte. Wissenschaft ist also nicht der Weisheit letzter Schluss.
Teilt uns eure Glaserfahrungen mit. Frohes Weinsein!